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Digitale Transformation im Handel – Erfahrungen eines Interim Managers

Georg Larch, Partner bei Boyden Interim Management GmbH, im Gespräch mit Interim Manager Rafael Baer.


Rafael Baer ist ein Interim Manager, der sich wiederholt mit Digitalisierungsthemen u. a. im Handel beschäftigt hat. Zuletzt hat er für einen großen Filialisten das Direktgeschäft aufgebaut. Lesen Sie hier, welche Schlüsse er aus seinem Projekt als Interim Manager für den Erfolg einer digitalen Handels-Strategie zieht.


Boyden: Wie schlagen sich die traditionellen deutschen Handelsunternehmen derzeit im Vergleich zu Amazon?


Rafael Baer: So pauschal kann man diese Fragen nicht beantworten:

es gibt Unternehmen, die u. a. aufgrund von Amazon untergegangen sind (z.B. Quelle), aktuell Schwierigkeiten haben oder gerade jetzt über sich hinauswachsen.

Festzustellen ist, dass sich Amazon in rasantem Tempo weiterentwickelt. Durch konsequentes Weiterdenken und Innovationen getrieben, ist Amazon mittlerweile branchenübergreifend allgegenwärtig. So ist laut IFH Köln nur noch ein Viertel der Onlineumsätze in Deutschland unabhängig von Amazon – aber auch der Einfluss auf den stationären Handel ist durch die zunehmende Vorabinformationssuche immer deutlicher zu spüren.

Amazon ist zwar stark und omnipräsent, aber gerade in der aktuellen Diskussion über die Umweltaspekte (Retouren, Lieferung) und jährlichen Streiks der Mitarbeiter hat Amazon ebenfalls Herausforderungen zu stemmen, von denen der stationäre Handel profitieren kann.

Denn im Vergleich zu Amazon hat der deutsche Filialhandel den großen Vorteil, dass er auf eine stationäre Infrastruktur bauen kann. Und das ist eine riesige Chance! Denn knapp über die Hälfte der Deutschen bevorzugen lokale Geschäfte und freuen sich über ein positives Kauferlebnis. Das setzt einfache Bezahl- und Rückgabeoptionen, vielerlei Informationen zu Produkt und Verfügbarkeit und ein freundliches Personal voraus. Ladenlokale haben im Gegensatz zu dem, was oft behauptet wird, nicht an Attraktivität verloren.

Das belegt, dass schon heute viele Onlinehändler - u. a. Amazon und Zalando - damit starten, ihre Präsenz auf physische Geschäfte auszubauen: „Online goes Offline“. Das bedeute für die traditionellen Händler, dass ihr On- und Offlinegeschäft zusammenwachsen muss, damit keine Kaufbarrieren für den Kunden entstehen. Heute gelingt es den traditionellen Händlern noch nicht, bei Konsumenten für Käufe in beiden Kanälen gleichermaßen in Frage zu kommen.

Entscheidend ist, dass das Handelsunternehmen seine Omni-Channel-Strategie, die Zielgruppen und das Geschäftsmodell kontinuierlich überprüft. So könnte es auch sinnvoll sein, Amazon selbst als weiteren Verkaufskanal zu nutzen. Für die Händler gilt es, aktiv zu bleiben und ihre ggf. nicht mehr zukunftsträchtigen Geschäftsmodelle anzupassen.


Die Basis für zukünftiges Wachstum ist die uneingeschränkte Kundenorientierung:

  • Zuhören, Verstehen und Antizipieren.

  • Die Herausforderung ist das schnelle Agieren auf Marktentwicklungen.


Boyden: Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für einen sinnvollen Aufbau einer Multi-/Omni-Channel Strategie im stationären Handel?


Rafael Baer: Vielleicht erkläre ich kurz den Unterschied zwischen Multi- und Omni-Channel:


  • Bei der Multi-Channel-Strategie liegt das Hauptaugenmerk auf der Maximierung der Performancesteigerung jedes einzelnen Kanals, den man einsetzt. Die einzelnen Kanäle sind nicht aufeinander abgestimmt.

  • Omni-Channel Strategie hingegen betrachtet den Vertrieb stärker von der Warte des Kunden aus, der sich in seinem Verhalten eben nicht von der Struktur des Betriebes, sondern vielmehr von seinen eigenen Bedürfnissen lenken lässt. Er benutzt die verschiedenen Kanäle durcheinander und parallel, was ihm durch eine einheitliche User-Experience erleichtert wird. Im Rahmen dieser Strategie geht es darum, über alle eingesetzten Kanäle hinweg eine möglichst persönliche Beziehung zum Kunden aufzubauen. Für das Unternehmen bedeutet es, über alle Kanäle hinweg den gleichen Kundendaten-Stand zu haben.

Nun aber zu den Erfolgsfaktoren:


1. Kundenzentrierung: Darunter verstehe ich die Fokussierung auf die Customer Journey, das Kundenbeziehungsmanagement und die Steuerung des Unternehmens aufgrund kundenorientierter KPI`s.


Verbraucher sind vernetzter und informierter als je zuvor. Sie sind sogenannte „Channel-Hopper“, weil sie zwischen den einzelnen Kanälen hin und her wechseln. 88 % der Verbraucher recherchieren ihre Einkäufe online vor dem Kauf, egal ob sie den Kauf letztendlich online oder offline im Geschäft abschließen. Sogar 65 % vergleichen den In-Store-Preis mit dem Online-Preis, noch während sie im Geschäft sind.

Um die heutigen vernetzten Verbraucher zu erreichen, müssen Mobile, Desktop und Offline Touchpoints zusammenarbeiten. Auf diese Weise wird das Markenbewusstsein der Konsumenten gestärkt und die Nachfrage gesteigert. In diesem Szenario kann jeder Kanal, egal ob Online oder Offline, potenziell den gleichen Einfluss auf einen Kauf ausüben.

Wichtig ist dabei, dass ein Unternehmen einen aktuellen, einheitlichen und möglichst ganzheitlichen Blick auf seine Kunden hat. Das kann nur gelingen, wenn ein Unternehmen alle vorhandenen Datenpools miteinander verbindet und zusätzlich ein systematisches Framework für das Sammeln, Analysieren & Nutzen von Kundenfeedback („Voice of Customer“) aufbaut. Daraus entstehen neue geschäftsrelevante KPI`s wie Frequenz, Kaufquote und Wiederkaufrate über alle Kanäle.


Der qualitative Nutzen für ein Unternehmen ist vielfältig: Steigerung der Kaufquote und der Anzahl an Produkten pro Bon (Cross-Selling); Steigerung der Frequenz (On-und Offline) bei Neu- und Bestandskunden; Aktivierung inaktiver Kunden sowie Entwicklung reiner Store-Kunden zu Omnichannel-Kunden aufgrund des verbesserten nahtlosen Handels.


2. Leadership: Digitale Manager (digital Natives) sind gefragt!


Wer die Channel-Hopper erreichen will, muss sich bewegen. Dafür sind folgende Kernfähigkeiten nötig: kontinuierlicher Innovationswille,Mut (u. a. um technologisches Neuland zu betreten und auch Fehler zu machen),Führungsstärke, Zielstrebigkeit und ein hohes Maß an analytischer und intellektueller Unabhängigkeit.


Wichtig ist es, das Unternehmen, die Mitarbeiter und Partner bei einem digitalen Transformationsprozess mitzunehmen. Dabei ist es unumgänglich, in Human Resources zu investieren:

  • Offenheit und Flexibilität gegenüber der Implementierung neuer Arbeitsmodelle, wie z.B. Home-Office (= Führung auf Distanz);

  • Förderung der Selbstverantwortlichkeit und Lernbereitschaft jedes Einzelnen.

Unternehmen brauchen dynamische Menschen in Projektaufgaben und Teams. Sie müssen ihnen die entsprechende Verantwortung geben, statt im Silo zu denken.

Unternehmen brauchen Umstürzler, die das Unternehmen auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihen in die Zukunft führen.


Boyden: Was war bei diesem Projekt das größte Hindernis – und wie haben Sie es gelöst?


Rafael Baer: Vorausgesetzt, dass die strategische Bedeutung und der Stellenwert der Digitalisierung im Unternehmen von der Geschäftsführung kommuniziert und unterstützt wurde, fallen mir in der Umsetzung bei allen digitalen Projekten, in denen ich tätig war, drei Haupthindernisse auf:

  • mangelnde interne Kommunikation,

  • Intransparenz, und

  • fehlendes digitales Know-how.

Erfolgreich agieren Unternehmen beim Thema Digitalisierung, in dem sie alle Unternehmensbereiche und - Prozesse umfassend auf ein hohes Kundenerlebnis ausrichten. Den meisten Unternehmen gelingt es aber nach wie vor nur mäßig, besonders Fach- und IT-Abteilungen miteinander zu vernetzen und sie gemeinsam an einem Strang in Bezug auf das optimale Kundenerlebnis ziehen zu lassen.


Es fehlt an Koordination und Zusammenarbeit.


Noch immer gibt es zu selten eine Person, die ausdrücklich und ausschließlich für die digitalen Belange einer Firma zuständig ist. Das hat zur Folge, dass Zuständigkeiten, Kompetenzen und Pflichten nicht eindeutig vergeben sind und die Digitalisierungsinitiativen im Alltagsgeschäft untergehen.

Zudem sind in vielen Unternehmen die IT-Budgets und alte Systeme nicht ausreichend, um mit den sich schnell verändernden Kundenanforderungen Schritt zu halten. Des Weiteren sehe ich dort eine digitale Transformation zum Scheitern verurteilt, wo sie als reine Technologie-Implementierung behandelt wird. Wichtig ist, die Transformation aus der Kundenerwartung heraus und dem damit verbundenen Geschäftsmodell zu steuern.

Denn Sie können die besten digitalen Systeme der Welt haben - aber wenn Sie ein Unternehmen haben, das nicht über die Mitarbeiter, die Fähigkeiten, die Prozesse, die Kultur und die Überzeugung verfügt, um diese Technologie zu tragen, werden Sie deren Nutzen nie realisieren.

Daher ist es strategisch wichtig, der IT-Abteilung zu helfen, zu einem Umsatztreiber und nicht zu einer Kostenstelle zu werden. Um eine bessere Kommunikation zu gewährleisten, sollten Unternehmen über Mitarbeiter verfügen, die sowohl das Business als auch IT verstehen und als Bindeglied zwischen Geschäftsprozessen und IT-Systemen fungieren können.


Boyden: Wer sind aus Ihrer Sicht die Top Player im Omni-Channel Management?


Rafael Baer: Hier fallen mir Tchibo und Obi ein.

Beide haben es meines Erachtens bereits gut geschafft, die On- und Offline Welt miteinander zu verbinden u. a. mit Services wie Click & Collect, Click & Reserve, Instore Return, Instore Order und Online Verfügbarkeitsanzeige. Bei diesen Services geht es u. a. um Convenience-Faktoren aber auch um die Reduktion von Lost Sales. Das haben diese Unternehmen bis dato sehr gut gelöst.


Boyden: Sind Händler heute Technologieunternehmen?


Rafael Baer: So, wie ich es erfahren habe geht es immer mehr in die Richtung. Unsere Welt wird immer digitaler, was viele verschiedene Konsequenzen nach sich zieht: eine davon ist die Entstehung völlig neuer Business-Modelle, die mittlerweile zu den erfolgreichsten der Welt gehören. Sie alle eint das große Thema Technologie.


Große Technologie-Unternehmen wie Apple und Co. sind Firmen, die den Menschen Produkte und Dienstleistungen anbieten, die einen erheblichen Einfluss auf deren Leben haben und es auf unterschiedliche Weise bereichern. Denken wir hierbei an die Entwicklung des Smartphones im Jahre 2007. Sie hat die Welt komplett verändert. Genau das Gleiche gilt auch für Online-Shops. Der elektronische Handel ist nicht zuletzt deswegen so beliebt, weil er das Leben der Menschen positiv beeinflusst und einfacher macht.


Natürlich können Online-Shops mittlerweile mit den simpelsten Mitteln realisiert werden. Doch wer hieraus ein echtes und langfristig erfolgreiches Business machen möchte, der sollte es sich nicht zu einfach machen. Insbesondere im Omni-Channel-Handel müssen sich die Händler dafür gut rüsten, weil Ladengeschäfte und andere Abholorte zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen werden – nämlich als Ort, um bestellte Ware abzuholen oder als Retoure abzugeben. Hierfür ist die Implementierung der richtigen Systeme für Bestandsführung, Point-of-Sale und Zahlungsprozesse ausschlaggebend. Eine durchdachte IT-Architektur unterscheidet hochkarätige Retailer von „Einsteiger-Shops“ – und verdeutlicht einmal mehr:

Wer im E-Commerce-Bereich und im Omnichannel tätig ist, darf und muss sich durchaus als Technologieunternehmen verstehen.


Boyden: Inwieweit hat Ihre Rolle als Interim Manager von außen dazu beigetragen, dieses Projekt zum Erfolg zu führen?


Rafael Baer: Wie in vielen anderen Projekten, war es auch hier der Fall, dass sich das Unternehmen nicht klar war, wie eine Digitalisierungsstrategie umgesetzt wird. Es fehlte an Digitalisierungs-Know-how und wie man nach Art von Start-Ups schnell digitale Themen erfolgreich aufsetzt. Dafür ist ein Interim Manager mit jahrelanger Expertise in digitalen Transformationsprojekten und Umsetzungsstärke immer eine sehr gute Wahl.

Meine Funktion war nicht nur der hilfreiche Umsetzer sondern mit meinem Blick von außen wurden die Prozesse aus Kundensicht auf den Prüfstand gestellt und neue Perspektiven und Ideen in die Organisation gebracht.


Ausschlaggebend war die abteilungsübergreifende, reibungslose und transparente Kommunikation mit den unterschiedlichen Stakeholdern. Das hilft, schnell und erfolgreich den digitalen Transformationsprozess zu realisieren. Ziel ist es, das Unternehmen optimal bei der Einführung der neuen digitalen Themen zu unterstützen, diese rasch produktiv zu stellen, weiterzuentwickeln und einen Know-how Transfer in das Unternehmen hinein sicher zu stellen.


Bei den digitalen Themen stellen eine hohe Teamorientierung und eine pragmatische Umsetzungsweise immer einen Erfolgsfaktor dar. Ich achte in meiner Arbeit immer darauf, dass digitale Maßnahmen so umgesetzt werden müssen, wie sie zum Unternehmen passen und die Menschen auf den Weg mitgenommen werden:

Denn häufig wird übersehen, dass die technologische Revolution, also die Digitalisierung, eine tiefgreifende kulturelle Veränderung bedingt. Zudem bedarf es auch mutiger Schritte, da es für die Umsetzung und Implementierung kein Erfolgsrezept gibt.


Es gilt der Ansatz: testen, analysieren, adaptieren, testen, …


Boyden: Vielen Dank für das Gespräch!


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